In überoptimistischer Interpretation des Wetterberichts machen wir uns bei unbeständigem Wetter auf zur Weißkugel. Wir planen den Normalanstieg über die Weißkugelhütte, nicht nur, weil die Hütte jetzt noch bewirtschaftet ist, sondern auch weil dieser Anstieg am „alpinsten“ ist und allerlei Möglichkeiten zu größenwahnsinnigen Varianten bietet (Ostflanke, Mitnahme Langtauferer Spitze,..). Schon der wenig schöne Hüttenzustieg erfolgt bei stark bedecktem Himmel mit leichtem Niesel, noch tun wir dieses Wetter als „vorhersagekonform“ ab. Nach knapp 1:45h erreichen wir die Hütte, das Ambiente ist wenig einladend: Latrinengeruch, nasser Schnee und Matsch, noch keine Vegetation und eine riesige Schuttmoräne. Nur der Blick nach oben ist erfreulich, auch wenn die beeindruckenden Gletscher und Grate rasch im Nebel verschwinden. Eine kleine Erkundungstour auf den Gletscher motiviert mich aber sehr. Auf der Hütte sind nur vier weitere Gäste: Ein junges Duo von Eiskletterern, die auf Nordwände spezialisiert sind, und ein Vater/Sohn Duo, die einen Bergführer engagiert haben. Alle natürlich mit Skiern, Schneeschuhe sind hier echt exotisch, immerhin macht keiner blöde Bemerkungen. 21.5: Um 5:15 Uhr brechen wir nach ausgiebigen Frühstück auf. Die Nacht war sternenklar doch jetzt ist es bereits wieder komplett bedeckt und der Blick nach Westen verheißt nichts Gutes. Ca. 300m vor uns tragen die Nordwandjungs ihre Ski durch den Moränenschutt. Die erste Dreiviertelstunde gehen wir zügig auf der Mittelmoräne ohne Schneeschuhe, der Firn ist noch schön hart. Dann seilen wir an und kurz danach geht es auch nicht mehr ohne Schneeschuhe. Wir passieren die großartigen Eisbrüche des Gepatschferners und umlaufen den Kegel einer frischen Eislawine. Beeindruckend. Wir halten weiter auf das Langtauferer Joch zu und mit jedem Schritt wird klarer, dass dies derzeit unpassierbar ist. Steil, mit riesiger Wechte und von Schneerutschen durchzogen. Nach dem Rechtsknick in den Langtauferer Ferner sind wir in Sachen Routenfindung völlig auf uns allein gestellt, unsere Nordwandjungs sind in Richtung Nordgrat abgebogen. Die Wolken sinken immer tiefer, nun ist auch der Gipfel der Langtauferer Spitze verhüllt, von der Weißkugel war bisher sowieso nichts zu sehen. Obwohl die Sicht schlecht ist und ich auf einem spaltenreichen Gletscher eine Spur legen muss, habe ich keine Sorgen dabei. Ein paar mal fällt das Wort aufgeben, aber wir arbeiten uns tapfer zum Weißkugeljoch hoch, das wir nach knapp 3h (!) erreichen. Im Nebel ist noch der Gratdurchschlupf zum Hintereisferner zu erkennen, es ist aber klar, dass wir dahinter das Hintereisjoch nicht sehen werden, die Sichtweite beträgt bestenfalls 70m. Die Ostflanke fällt eh aus, ohne Sicht in eine schwere Route einzusteigen, aus der es keinen einfachen Ausstieg gibt, wäre Wahnsinn. Langtauferer Spitze? Der Grat sieht schwierig aus, verschneiter, ausgesetzter Fels mit überwechteten Firnpassagen, und die Tatsache, dass wir völlig allein hier sind macht mich nicht gerade experimentierfreudig. Wir warten ob es noch aufreißt, aber nach einer halben Stunde sind wir durchgefroren und müssen uns eingestehen, dass wir hier nicht weiter können, ohne untragbare Risiken einzugehen. Frustriert steigen wir ab, unser Frust steigert sich noch, als uns die Gruppe mit Bergführer passiert. Doch wenig später kommen gleich zwei Partien den Gletscher herab gefahren. Nicht nur die Nordwandjungs, sondern auch die Bergführerpartie haben am Weißkugeljoch aufgeben müssen. Diese Bestätigung unserer Einschätzung durch „Profis“ lässt meinen Frust komplett verfliegen! Sind wir doch keine feigen Füchse! Da stört nicht mal mehr der einsetzende Regen! Beim lästigen Gegenanstieg zur Hütte hängt der Nebel so tief, dass nun auch der Rückzug über den Gletscher ein erhebliches Problem gewesen wäre. Nach 2h Abstieg im Regen bleibt die Erkenntnis, dass wir außer der Einschätzung des Wetterberichts alles richtig gemacht haben...