Marco-e-Rosa und Payerhütte waren ausgebucht. In der Illusion, dass der uns machbar erscheinende Jubiläumsgrat eine AD- Tour wäre, gab es keine langen Überlegungen, zumal ein steiler ausgesetzter Grat ein gutes Bernina-Training sein sollte. Hoffentlich macht das Wetter mit, wir hatten bei ähnlicher Lage schon böses Pech gehabt, insbesondere an der Wildspitze. Als wir bei leichtem Regen den Hüttenaufstieg beginnen, habe ich kein gutes Gefühl. Es folgt eine höllische Hüttennacht, ich bekomme kaum ein Auge zu, eine beginnende Erkältung quält mich mit Fieber und Kopfschmerzen, dazu die Hitze bei verschlossenen Fenstern. Mit einer Tablette geht es dann morgens mehr schlecht als recht. Wir kommen früh weg (5:20Uhr, 2.844m), das Wetter ist gut, klar und nur einige wenige vereinzelte Wolken. Hoffentlich hält’s! Schon auf dem Steig zum Rofenkarferner bin ich nicht besonders fit, auch diesmal wird die Wildspitze wohl eine Quälerei werden. Trotz der vielen Menschen auf der Hütte sind wir die einzigen auf diesem Weg, erst nach zwei Stunden werden wir die erste Seilschaft weit hinter uns erblicken. Der Gletscher ist im unteren Teil aper, wir gehen seilfrei den mäßig steilen ersten Aufschwung des Gletschers hinauf. Immerhin ist der Hang steil genug, dass das Gehen in der Falllinie mit Steigeisen recht schmerzhaft ist, obwohl die neuen Schuhe super bequem sind. Gegen Ende des flachen Gletscherplateaus, etwa auf Höhe des Fußes der Felsinsel im Rofenkarferner (ca. 3.330m) seilen wir an. Inzwischen sind wir aus dem Schatten in das strahlende Morgenlicht getreten, ein herrlicher Tag. Wir queren den zweiten steileren Hang zur Felsinsel P 3552, die wir über ihren östlichen Blockgrat überqueren. Bin ganz schön ausgepumpt. Vor uns türmt sich der erste Aufschwung des Jubiläumsgrats auf (P 3677), schon dieser Teil wirkt abweisend steil und verjüngt oben zu einem schmalen Grat. Nur eine ganz verwehte alte Spur ist zu erkennen, hier war schon länger keiner mehr unterwegs. „Lass uns gleich den Normalweg gehen“, ist Ralfs erster Kommentar, Gott sei Dank lässt er sich schnell überreden wenigstens den P.3677 zu testen, es ist ja nicht mal 8:00Uhr morgens, wir haben alle Zeit der Welt. Weiter angeseilt geht es zum Grat hinauf, immer wieder brechen wir im tiefen Firn ein. Der Grat ist für mein Nervenkostüm ok, etwa wie der Gipfelübergang am Venediger. Auch ein gelöstes Steigeisen bei Ralf meistern wir in diesem Gelände ganz gut. Erstaunlicherweise treffen wir hier mehrfach auf Spalten. Auf dem P.3677 folgt die Stunde der Wahrheit. Ein kurzer Abstieg und dann baut sich der zweite Grataufschwung nahezu senkrecht vor uns auf. Der Kopf sagt mir, es sind nur 42 Grad, aber warum wirken die subjektiv nur so schlimm? Der Spurrest hält etwa 3m Abstand zur Gratlinie, von unten waren tatsächlich auch riesige Wechten zu erkennen. Noch gruseliger wirkt es nach dem Steilaufschwung, im Rechtsbogen ist die steile Nordwand zu queren. Ralf zögert, überwindet sich aber dann. Mit kurzem Abstand steigen wir – weiter angeseilt – hoch konzentriert die Steilstufe hinauf (etwa wie Palü-Ostrücken, vielleicht einen Tick steiler und natürlich ausgesetzter). Der Firn ist ok, noch besser geht es in griffigen überfrorenen Bereichen, insgesamt alles kontrolliert und gut im Griff. Die Querung ist harmloser als erwartet, allerdings folgt noch mal ein kleiner Anstieg. Dann stehen wir auf dem Nordgipfel (8:45Uhr), ganz allein, auch am Südgipfel ist noch kein Mensch. Die Fernsicht ist fantastisch, vor uns ausgebreitet liegen die wunderbaren Ötzis, die für Anfang August schon heftig ausgeapert sind. Wow, ich kann es kaum glauben, wir haben es geschafft. Immer wieder stapfen wir zum Grat zurück und staunen, was wir da gerade überwunden haben. Diesen Moment, in dem sich Anspannung und Angst lösen und der Freude am Erfolg weichen, liebe ich besonders am Bergsteigen. Wir gehen rüber zum Südgipfel, ein solcher Übergang ist mittlerweile Kleinkram für uns. Inzwischen ist eine Gruppe Südtiroler am Südgipfel angekommen, die am Vorabend noch eine Jubiläumsgratbegehung angekündigt hatten. Die einen reden, die anderen tun. Nach einer ausgiebigen Brotzeit, während der sich der Gipfel unangenehm füllt, steigen wir über den Südostgrat ab, um eine weitere für uns neue Route zu probieren. Ein deja-vu zum Möseler: ekelhaft brüchiges Blockgelände und unklare Wegfindung. Aber auch das meistern wir ganz passabel, obwohl wir einige Steinschläge auslösen. Es folgt eine schöne Gletscherwanderung über den Rofenkarferner hinunter, vorbei an tollen Seracs und ein sich zäh dahin ziehender Rückmarsch zur Hütte, die wir gegen Mittag (12:15Uhr) erreichen.