Fünf Höhenmeter über mir das Gipfelkreuz. Ich warte bis eine absteigende Gruppe an mir vorbei ist, zwänge mich aus der Felsnische, in der ich gewartet habe und setze die Steigeisen konzentriert ins Eis. Zwei große Schritte und ich schaue heute erstmals über den Nadelgrat hinaus - direkt auf das Matterhorn! Vor tiefblauem, makellosem Himmel. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überwältigt mich nach dieser Schinderei. Jeder kennt diesen Berg aus tausenden Abbildungen, doch für mich ist es in diesem Moment etwas ganz Besonderes ihn aus solcher Nähe und Perspektive erstmals mit eigenen Augen zu sehen, zumal ich das überhaupt nicht erwartet hatte. Wiedermal gehen mir Emotionen durch, die Freudentränen laufen mir herunter, Gott sei Dank übertönt das Kreischen der Eisen am Fels mein Geflenne. Der Gipfel ist in der Tat eine Nadel, kaum zwei Füße haben am Sockel der Gipfelkreuzes Platz. Nur langsam nehme ich das Superpanorama wahr. Die gewaltige Nordwand des Doms vor der Nase, auf der die wenigen Seilschaften wie kleinste Krümel wirken, der Grat zur Lenzspitze, das phantastische Weißhorn ganz nah, Zinalrothorn: Wow, was für Berge, ja, in der Tat eine ganz andere Kategorie als die Ostalpen. Peter trifft ein und ein Schweizer Pärchen macht ein paar Fotos von uns, dann geben wir den Gipfel frei, es nicht gerade wenig los an diesem Traumtag. Um 4:15Uhr sind wir heute Morgen gestartet, zunächst eine Dreiviertelstunde über Blockgelände im Stockdunklen zum Anseilpunkt (3.626m). Dann in weitem Bogen in Glühwürmchenkarawane über den Hohbalmgletscher im schemenhaften Angesicht der Lenzspitznordwand, erst kurz vor Erreichen des Windjochs (3.825m) dämmert es. Auch wenn ich besser akklimatisiert bin als an den Vortagen, laugt mich die Höhe wieder aus. Langsam gehen wir seilfrei über den Grat, der sich nach jeder Kuppe zu verlängern scheint, und erleben einen herrlichen Sonnenaufgang. Einige schmale vereiste Stellen packen wir inzwischen souverän. Die letzten 50hm über Felsgelände kommen mir entgegen, wieder mal bin ich hier flotter unterwegs als der deutlich fittere Peter, und um 7:40Uhr, nach 3:25h sind wir oben (1000hm von der Hütte). Der Abstieg über den Grat ist an diesem Traumtag ein purer Genuss, völlig klar, dass wir das Ulrichshorn noch mitnehmen.
Lohnender Abstecher
"Ca vaux bien la peine, je l'ai tellement aime" meint eine Französin aufgekratzt als wir kurz nach dem Windjoch an ihr vorbeistapfen, und in der Tat der Blick auf Nadelgrat und Lenzspitze lohnt den Abstecher. Überraschend, wie auf einem Wanderberg finden wir am Gipfel eine Bank vor, wo wir eine längere Pause vor Traumkulisse machen. Bis auf eine kleinen Sturz von Peter beim Sprung über die eine Gletscherspalte verläuft der Abstieg unspektakulär. Nach Stärkung und zusammenpacken auf der Mischabelhütte, machen wir uns mit schweren Rucksäcken auf den langen Abstieg nach Saas-Fee (1.500hm)