Schwierige Vorgeschichte: Wegen beruflicher Dauerabwesenheit zu Hause und entsprechendem Streß hatte ich Peter mehrfach für die Rosegtour kurzfristig versetzt. Obwohl ich es unbedingt will, erzeugt mir die Bergleidenschaft einen bösen Mix aus schlechtem Gewissen und Druck, der mir nicht gut tut. Dennoch lassen mich die großen Ziele nicht los, denn ich entwickle mich mit jeder Tour auch definitv weiter. Da Peter und ich inzwischen die letzten Mohikaner im Hochtourenfach mit deckungsgleichen Interessen sind, bleibt mir Peter Gott sei Dank als Partner erhalten, aber unsere unterschiedlichen Lebenssituationen machen es nicht gerade leicht.
Anyhow, nach vier quälenden Stunden Autofahrt starten wir mit den Moutainbikes kurz nach 11:00Uhr ins Rosegtal. Top Wetter, aber schon in Pontressina liegen die Schneehaufen, über 2000m sind die Berge weiß. Nach Wochen der Auskunft "tolle Verhältnisse" haben diesmal nicht nachgefragt und übersehen, dass es in der Woche zuvor auf der Tschiervahütte 50cm runtergehauen hat. Mal sehen was geht. Die Radfahrt empfinde ich im Gegensatz zu Peter als ziemlich anstrengend, die zwei 2h zu Fuß ab dem Hotel Roseg sind trotz des schweren Rucksacks richtig erholsam. Die verschneiten Berge am Talschluss bilden einen herrlichen Apetizer auf die bald folgende Traumkulisse des Tschierva Kessels. Als wir auf die Moräne zur Tschiervahütte steigen und der umwerfenden Hochgebirgskulisse mit Biancograt, Scerscen und Piz Roseg gegenüberstehen, weiss ich, dass es sich schon gelohnt hat. Schon hier erkennt man, dass der Eselsgrat tief verschneit ist und die Hüttenwirtin bestätigt, dass seit dem Neuschnee keiner mehr am Roseg war. Erst heute wurde der Biancograt seit dem Schneefall erstmals wieder begangen und die Seilschaften waren bei unserem Eintreffen gegen 14:30Uhr noch nicht am Piz Alv gesehen worden. Wir machen ein kleine Erkundungstour, nach der wir endgültig beschließen auf den Morteratsch umzusatteln. Ingesamt sind nur vier Partieen auf der Hütte, 2xBianco, vier Ravensburger, die auf den Roseg wollen, und wir. Am nächsten Morgen stehen wir um 3:15Uhr mit den anderen auf, lassen uns aber Zeit und starten um 4 Uhr in völliger Dunkelheit das Steinmandl-Suchspiel. Ohne größere Verhauer erreichen wir nach 2h, immer noch im Dunklen, den Gletscher. Der Neuschnee bildet einen nicht tragenden Harschdeckel, so dass uns von nun an bis zum Gipfel ein recht anstrengendes Stapfen mit gelegentlichen Einbrüchen erwartet. Wir umrunden in großem Bogen den Gletscher und in der Dämmerung steigen an der flachsten Stelle (ca. 35-40Grad) hinauf zum Grat, der von der Fuorcla Boval zum Gipfelhang führt. Der Gipfelhang ist sehr steil (>40Grad) und etwas blank, so dass wir eine Linie links einer Felsinsel zum Gipfelgrat wählen, den wir erst nach sage und schreibe 3h erreichen. Es folgt der sensationelle Schlussakkord der Tour: Über einen breiten aber luftigen Grat, den wir den "Bianco des kleinen Mannes" nennen, geht es die letzten 150hm zu Gipfel. Links der Festsaal, rechts der Tschiervakessel, bald rückt der Biancograt ins Blickfeld, einfach nur wow. Den Gipfelblick (9:35Uhr; 5,5h) dieser äußerst lohnenden Tour braucht man nicht weiter zu kommentieren. Der Abstieg ist purer Genuß, obwohl es sich etwas hinzieht. Am Parkplatz treffen wir die Roseg-Gruppe. Sie haben den Eselsgrat tatsächlich durchstiegen, sind dann aber umgekehrt. Diese Bestätigung unserer Einschätzung versöhnt mich endgültig... (12,5h)