Nach etwas Hin und Her wegen des Schneefalls der Vorwoche brechen wir vergleichsweise kurzentschlossen auf. Annabelle hat ernsthaft Angst um mich, was zu einem unschönen Gezanke am Vorabend führt, so dass ich mich mit sehr gemischten Gefühlen auf den Weg mache. Da ich die Nächte davor schlecht geschlafen habe, fühle ich mich auf der Radfahrt durchs Rosegtal und am nachfolgenden Aufstieg zur Hütte ziemlich elend, obwohl oder gerade weil wir flott unterwegs sind (40min Radfahrt, 2:30h bis zur Hütte). Ich lege mich gleich ins Bett und habe so vor dem Abendessen noch 1,5h erholsamen Schlaf. Auch nach dem ganz schmackhaften nepalesischen Essen verziehe ich mich gleich wieder ins Bett und verzichte auf den Diavortrag des 8000er-Cracks, der mir beim Abendessen gegenüber saß. So bin ich um 3:20Uhr vergleichsweise frisch und fit. Um 4:15Uhr starten wir. Wir queren den Gletscher etwas oberhalb der uns nachfolgenden Gruppen (jeweils Bergführer mit einem Kunden). Kurz vor Erreichen der anderen Gletscherseite bekommt Peter Bedenken und wir legen doch noch die Steigeisen an. So überholen uns die beiden Bergführerteams und erleichtern uns den Einstieg in den Umurgrat, auf dem wir bald die ersten Steinmandl erkennen und so trotz völliger Dunkelheit den Weg recht leicht finden. Kurz hinter dem P.2814 treffen wir auf eine 3er Gruppe, die hier biwakiert hat, und die den Rest des Tages immer ein Stück hinter uns unterwegs sein wird. Unklar bleibt, warum die Jungs trotz Biwak so spät starten, wie wir müssen sie am gleichem Abend auch noch zurück nach München. Hinter dem Biwakplatz geht es tatsächlich auf der linken Gratseite weiter bis zu einer Einsattelung im Grat, auf der man die Seite wechselt und kurz darauf den Gletscher auch ca. 3.000m betritt. Hier beginnt es zu dämmern (ca. 6:00Uhr). Angeseilt steigen wir am linken Rand des Gletschers durch ziemlich spaltiges Gelände auf. Wie spaltig es ist, wird erst im Abstieg in der Draufsicht bei Tageslicht deutlich. Ca. 30min vom Anseilpunkt erreichen wir das Gletscherplateau auf 3.200m und marschieren im Bogen im violetten Morgenlicht unter der Roseg-Nordwand zum Eselsgrat. Zu unserer Überraschung steigt die Bergführergruppe im rechten Teil der Nordwand über den Bergschrund und quert oberhalb davon in die Gratflanke. Offenbar steigen sie über die Abseilpiste auf. Der "übliche" Einstieg ist weiter unten und erfordert das Überklettern eines recht großen Turms. Wir folgen den Bergführern, während die Jungs hinter uns den unteren Einstieg wählen. Hier sind wir noch im Zeitplan (7:15h, 3h). Die Bergführer mit ihren Kunden im Schlepptau fliegen geradezu ohne größere Sicherung hinauf, so dass wir sie schnell aus den Augen verlieren und nun selbst den Weg suchen müssen. Wir folgen einem verwitterten Pfeil und erreichen eine Kletterstelle am Grat, die deutlich über unseren Möglichkeiten liegt. Nach einer guten halbe Stunde "Einstiegssuchspiel" nutzen wir die Abseilstände für den Aufstieg und legen zwischen den Bohrhaken, die für unseren Geschmack "Bergführerabstände" haben, einige Zwischensicherungen, was reichlich Zeit kostet. Wenigstens ist es jetzt sonnig und warm. Zwei Seillängen mit etwas unnötigem Zick-Zack später sehen wir 10m über uns die Gratschneide. Ohne zu wissen, dass ich gleich vor der Schlüsselstelle stehen werde, gehe ich vor. Nach der zweiten Zwischensicherung ist es soweit: Aus mäßig stabiler Position muss man auf die andere Gratseite übersteigen, Griffe und Tritte sind super klein, der nächste Bohrhaken ist zwei Meter über mir und nach drei Seiten fällt es steil ab. Hopp oder top, wer rauf will muss hier drüber, ich halte die Luft an und mit zwei schnellen Zügen erreiche ich den Haken und hänge mich ein. Beim Blick nach unten schwimme ich im Adrenalinrausch. Noch wenige Meter in einfacherem, aber immer noch sehr ausgesetzten Gelände erreiche ich den Stand. Als Peter nachkommt ist es 9:30Uhr, noch zwei Seillängen, das erste mal glaube ich an den Gipfel, obwohl die Bergführerteams schon wieder herunterkommen. Die letzte Seillänge ist auch nochmal schwierig und vereist, so dass es kurz vor 11:00Uhr ist, als wir nach Verlassen des Grats, Esspause und Umrödeln uns Richtung Gipfel aufmachen. Eigentlich Unfug so spät noch weiter zu gehen, aber jetzt hält uns nichts mehr. Frei geht es über ein paar harmlose(?) Spalten und über einen malerischen Grat zu dem Plateau mit dem markanten Felsen, bei dem auch das Couloir von der Caoz-Hütte mündet. Schöner kann Bergsteigen kaum sein. Leider zieht es auf den letzten 150hm zu und wir erreichen gegen 12:30Uhr nach 8:15h den Gipfel der Schneekuppe bei nur 50m Sicht. Aber Chacka, wir haben Dich! Freude, aber noch keine Erleichterung! Ein Übergang zum Hauptgipfel kommt schon aus Zeitgründen nicht in Frage, gut 1,5h muss man für Hin- und Rückweg rechnen, der geradewegs durch die scheinbar lotrecht wirkende Nordwand verläuft. Der Rückweg zieht sich hin, obwohl wir die Abseilpisten konzentriert und routiniert bewältigen, vergehen die Stunden im Minutentakt. Obwohl wir keine Pause machen, erreichen wir erst um 19:00Uhr entnervt die Hütte und essen dort noch eine Suppe (15 SFr!!!!). Die Radfahrt durch Rosegtal erfolgt in völliger Dunkelheit, um halb zehn sind wir am Parkplatz. Jetzt wirkt das Adrenalin und wir sind hellwach, so dass ich ohne Schwierigkeiten locker bis nach Hause fahre (1:45Uhr).