Es tröpfelt leicht, als wir nach knapp 4,5h Fahrt und herzhaften Mautzahlungen endlich auf 2.300m den Wagen abstellen und uns auf Erkundungstour machen. Auf den Wanderwegen sind wahre Menschenmassen unterwegs. Auch wenn sich hier die Zinnen mächtig auftürmen, ist der Anblick auf der Südseite noch nicht so spektakulär.
Aus langer leidvoller Erfahrung machen wir uns gleich als Erstes auf die Suche nach dem Einstieg. Etwa 45min benötigen wir über ein steiles Kar bis knapp unter die Scharte zwischen Großer und Kleiner Zinne. Nach etwas Hin und Her sind wir überzeugt, die richtige Rampe für den Einstieg gefunden zu haben und steigen etwa 40hm in Ier Gelände zur Erkundung auf. Hier wird bereits die Herausforderung dieser Tour deutlich: Die Kletterschwierigkeiten sind zwar gering, aber das Gelände ist steil, brüchig und ausgesetzt. Fehler sind streng verboten, denn all das ist frei zu bewältigen.
Nach gut 1,5h verlassen wir Einstieg und Rinne und beginnen den touristischen Teil des Tages. Erfreulicherweise hat es aufgerissen, so dass sich feine Fotogelegenheiten ergeben. Hoch über den Wegen wandern wir am Wandfuss zur Lavaredoscharte und statten zunächst der Nordwand einen Besuch ab. Tatsächlich 550hm glatte, senkrechte Wand! Alex Hubers free solo wirkt wie reiner Wahnwitz. Wir wandern weiter zur Dreizinnenhütte, nehmen dort unser Abendessen und beobachten lange die Lichtspiele.
Es ist schon fast dunkel, als wir unser Nachtlager - mein Auto - erreichen. Die Nacht im Wagen wird bequemer als gedacht, der Daimler hat genug Platz und Luft für zwei, so dass wir am nächsten Morgen vergleichsweise erholt starten können. Die Hütte wäre sicher nicht besser gewesen.
Wir warten die Dämmerung ab, um 5:50Uhr starten wir. Am Einstieg verschwindet gerade ein Pärchen mit Bergführer, die uns hoffentlich den Weg weisen werden. Doch Ihr Tempo ist atemberaubend, schon lange vor der ersten Scharte sind sie entschwunden. Wie die Gruppe vor uns verlassen wir bald die Rinne und steigen linker Hand in der Wand auf. Nicht schwer, aber ausgesetzt, gut 80-100m nahezu senkrecht über dem Rinnenboden. Bald erreichen auch wir die erste Scharte. Wieder beginnt das muntere Suchspiel, zumal hier die Beschreibung - wenn nicht komplett falsch, so doch verwirrend - ist. Erst als ein nachrückendes Einheimischenpärchen eintrifft, finden wir gemeinsam den Weg.
Nach ein paar recht ausgesetzten Kletterzügen geht es einfach durch eine Rinne zur 2. Scharte und dann über Gehgelände zur 3. Scharte. Auch der Weiterweg zu den Gedenktafeln ist einfach und fast schon genußvoll. Die nachfolgenden 3er Längen sind ebenfalls gut zu machen. Inzwischen sind einige Partien nachgerückt und haben uns überholt, so dass zumindest ab jetzt die Wegfindung klar ist.
Wenig später stehen wir vor der Schlüsselstelle, dem glatten Kamin. Und ich bin auch noch mit dem Vorstieg dran. Vor mir läuft ein Bergführer behende wie eine Katze hoch und betont wie leicht das alles sei. Mit einem Affenzahn zieht er seine beiden Gäste nach, die sehr unsicher wirken. Ich halte es für eine gute Idee denen zügig nachzugehen. Während ich gespreizt über dem Kamingrund stehe, kommt es zu einem kurzen Stau, mein linker Fuß drückt auf eine besonders speckige Stelle. Als nächstes nehme ich wahr wie ich rückwärts kopfüber stürze - und weich auf dem Rucksack lande. Ein Wunder - nur der Ellenbogen ist etwas aufgeschlagen.
Jetzt nur nicht nachdenken! Ich klopfe mich ab, gehe zu Peter und raune ihm ein "jetzt bist Du dran" zu und weiter geht's.
Tatsächlich ist es mir so gelungen den Sturz komplett auszublenden und konzentriert weiter zu machen. Sonst wäre die Tour dort zu Ende gewesen - vermutlich sogar mit Heliabholung. Umso mehr beschäftigt mich dieser Sturz im Nachhinein. Den IVer und den hohen III+ hab ich einfach nicht zweifelsfrei immer und in jedem Fall drauf.
Auch Peter muss ziemlich kämpfen, um über den abdrängenden Block im Kamin zu kommen. Wir sind an bzw. über der Grenze. Im Nachstieg gelingt mir das irgendwie. Was bleibt sind 1:15h Fleißarbeit. Einige Stufen im 3. Grad, nochmal ein Kamin, dann das Ringband, das anders als erwartet gar nicht ausgesetzt ist und am Schluss stellt sich der "böse Block" als recht harmlos raus. Dann ist es soweit, nach 4,5h erreichen wir den Gipfel der Großen Zinne.
Wow, die Hälfte ist geschafft, aber nicht mehr. Selten war mir diese bergsteigerische Binsenweisheit so deutlich wie jetzt. Der Hammer sind die Nahblicke, inbesondere zur westlichen Zinne. Tatsächlich entdecken wir dort - ameisengroß - eine Seilschaft in der riesigen Wand.
Dann beginnt der "Nachmittag des Abseilens". Länge um Länge arbeiten wir uns runter. Teilweise geht es deutlich abweichend vom Aufstieg über senkrechte Wände hinab. Nichts für schwache Nerven. Und immer wieder die bange Suche nach dem nächsten Ring mit dem sicheren Wissen, dass ein verpasster Ringe echte Probleme erzeugen kann. Wie fast alle Gruppen wollen wir den Abstieg über das Schuttband vermeiden, Steinschlag und das freie Abklettern eines IIIer sind nicht gerade einladend.
In der unteren Hälfte treffen wir immer wieder mit einem steirischen Pärchen - Andrea und Heli - zusammen und wir beschließen unsere Seile zusammzuknüpfen, um so weiter und schneller abzuseilen. Nach der zweiten Scharte passiert es dann. Alle vier fahren wie blind am vorgesehenen Abseilring vorbei und plötzlich stehen wir ohne Fixpunkt in der Wand. 150hm fast senkechtes 2+ Gelände abklettern? Für Andrea unmöglich und für mich jetzt vermutlich auch. Nach einigem Hin- und Her bauen wir einen improvisierten Abseilstand und lassen Peter ab. Haarsträubend wie der Pseudostand unter Belastung aussieht! Zumindest findet Peter schnell den nächsten Ring. Als er unten ist, entdecke ich ca. 6m über uns den verpassten Abseilstand. Ich sichere Heli hoch, er richtet die Abseilstelle ein und der Rest ist wieder Routine und Fleißarbeit.
Etwa 10:00h nach dem Einstieg verlassen wir die Große Zinne. Aber erst 2h später, als wir vom berühmten UNESCO-Aussichtspunkt die letzten Fotos der Zinnen machen, stellt sich bei mir so etwas wie Befriedigung ein.