Ziemlich genau 6h nach unserem Start stehe ich physisch und psychisch erschöpft vor der Schlüsselstelle dieser Tour. Wolken und Nebel sind aufgezogen. Bläulich schimmernd ragt der "Drachenrücken" der Vollkarspitze nahezu senkrecht und scharf geschnitten vor mir auf. Oben am Gipfel verschwinden gerade zwei ameisengroße Bergsteiger in den grauen Dunst. Links der Gratschneide ist der markante Riß zu erkennen, über den man aufsteigt. Erst drei Meter über dem Boden beginnt das Drahtseil. Puuuh! Jetzt nur nicht die Nerven verlieren...
Ich versuche mich darauf zu besinnen, dass ich auch für diesen Abschnitt die nötige Erfahrung und Sicherheit mitbringe. Jetzt nicht lange fackeln! Markus ist etwa 5-10min hinter mir unterwegs, auf ihn zu warten würde es jetzt nur noch schwerer für mich machen. Obwohl der Einstieg überhängend wirkt, finde ich sofort gute Griffe und Tritte und kann nach zwei Zügen mein Set einhängen. Jetzt nur nicht die Arme verbrennen. "Man klettert mit den Beinen" sage ich mir immer wieder, erreiche sicher und ohne übermäßigen Krafteinsatz den Rechtsknick zur Gratschulter und wechsle nach wenigen weiteren einfachen Zügen auf die Südseite.
Der restliche Aufstieg zur Volkarspitze entzieht sicher meiner Erinnerung. Auf jeden Fall hat es nicht mehr als 10min gedauert, und ich hatte es bei jedem Zug gut im Griff. Geht doch! Genau solche Erfahrungen lassen einen wachsen und geben Sicherheit.
War ein langer Weg bis hierher. Markus hatte erst am Mittwoch den Vorschlag gemacht, Donnerstag hatte Peter entschieden nicht mitzukommen, Freitag Bahn und Zufahrt recherchiert, Samstag um 7:00Uhr gabelt mich Markus am Zielparkplatz in Hammersbach auf. Pünktlich um 8:00 Uhr stehen wir in der spekatkulären, nicht ganz neuen (2017!) Zugspitzbahn. 45min später verlassen wir nach ein paar Fotos den Zugspitzgipfel.
Auch wenn man es oft gelesen hat, ist es doch erstaunlich als wie lang und zeitintensiv sich der Grat entpuppt. Man kann das ständige Auf- und Ab von Scharten und Grataufschwüngen kaum einsehen und somit auch kaum einschätzen. Dabei trifft man immer wieder auf Klettereien, die zwar nicht schwer, aber doch so ausgesetzt sind, dass man sich keinen Fehler erlauben darf. Zwar hab ich alle Stellen gut im Griff, aber ich bleibe durchgehend angespannt und wir reden nicht viel. Auch das zehrt unmerklich, aber stetig an den Kräften. Für mich bleibt es durchgehend mehr Herausforderung als Genuß.
Nach 3h erreichen wir mit der Äußeren Höllentalspitze den ersten kotierten Gipfel des Tages. Zum ersten Mal sieht man einen längeren Gratabschnitt ein, ganz in der Ferne erkennt man erstmals die Biwakschachtel. Langsam schwant mir die Dimension unseres Unternehmens. Den nachfolgenden, wohl leichtesten Gratteil bewältigen wir recht entspannt und erreichen nach 4h das Biwak. Hier liegen wir noch ganz gut im Zeitplan von bergsteigen.at.
Allerdings haben wir schon Federn gelassen. Ich brauch dringend eine Pause und Markus - in der Regel deutlich ausdauernder als ich - trifft erst 5min nach mir am Biwak ein. Wir machen einigermaßen ausgiebig Pause und als wir starten, sind wir gefühlt die letzten am Grat. Tatsächlich lässt unser Tempo jetzt merklich nach, während das Gelände nach der Inneren Höllentalspitze immer anspruchsvoller wird. Durch diese Kombination beginnt die Tour hier - zumindest zeitlich - aus dem Ruder zu laufen. Erst 1:20h nach Verlassen des Biwak erreichen wir die besagte Schlüsselstelle...
Auch wenn mir der Aufstieg zur Vollkarspitze vergleichsweise gut gelungen ist, bin ich nicht erleichtert. Der Abstieg über Platten und Rinnen ist tricky und ausgesetzt, und der Oberschenkel hat längst nicht mehr den gewohnten Power. Wenigstens kommt Markus nach gefühlt unendlicher Wartezeit über den Gipfel. Hat mir ein ziemlich schlechtes Gewissen gemacht, nicht auf ihn gewartet zu haben. Ihn hat es offenkundig aber nicht gestört.
Erst nachdem die Scharte unter der Vollkarspitze erreicht ist, lassen die Schwierigkeiten merklich nach. Aber es zieht sich nochmal eine Stunde hin, bis wir am Fuss des Hochblassen den Grat verlassen und die Umgehung Richtung Grieskarscharte beginnen. Ab hier haben wir es nur noch mir einer alpinen Bergtour zu tun (T5), die Jubigrat-spezifischen Gefahren sind vorrüber. Allerdings ist auch die Chance vorrüber, doch noch die letzte Alpsitzbahn zu erwischen. Im Schneckentempo arbeiten wir uns zur Grieskarscharte vor, auf der wir gegen 17:00Uhr unsere zweite Pause machen.
Gegen halb sechs machen wir uns an den Abstieg. Noch glauben wir, dass wir wie üblich deutlich weniger als die angezeigten 4,5h nach Hammersbach benötigen werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das erste Drittel durch's Mattheisenkar führt über einen Klettersteig (A/B), der im Abstieg volle Konzentration verlangt. Auch der weitere Abstieg bliebt steil und dementsprechend langsam sind wir unterwegs. Erst um 20:45Uhr erreichen wir völlig dehydriert die Höllentalangerhütte. Die Raldermaß dort ist eine der besten ever. Kurz vor halb zehn brechen wir auf, erleben die Höllentalklamm im Schein der Stirnlampen (sehr cool) und sind kurz vor 23:00 am Auto. Satte 14h waren wir auf den Beinen...